Lenins Schwestern
Roman
Insel Verlag, Frankfurt am Main 2008
271 Seiten
Sie reden von den Uljanows, vermutet Mira.
Er nennt sich jetzt Lenin, und die die ihn
kennen, gaben ihm den Spitznamen
starik – der Alte -, vielleicht, weil er so
ernst ist oder wegen seiner Stirnglatze.

Lenins Schwestern

Inhalt

Sie leben auf Landgütern, in Stadtpalais und in Villen, die verwöhnten Töchter des russischen Adels, der wohlhabenden Kaufleute. Sie werden erzogen, um zu heiraten, die Familientradition fortzuführen. Aber sie wollen sich nicht fügen, wissen, dass sie in Paris und in der Schweiz studieren können, rebellieren gegen ihre despotischen Väter ebenso wie gegen das rigide System des Zaren.
Schluss mit der Autokratie, dem Patriarchat! Verwirklichung der revolutionären Ideale: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.
Ausbruch. Jedes Mittel ist recht: Scheinheirat, um, eingetragen in den Pass eines ungeliebten Ehemannes, reisen zu können, abenteuerliche Fluchten in Männerkleidern oder versteckt in Bauernwagen über die Grenze.
Anstrengende Reisen in ein fremdes Land, ein karges Leben. Ressentiments in der Bevölkerung. Heimat nur da, wo sich Studenten aus dem Vielvölkerstaat treffen, um den Umsturz zu planen.

Packend erzählt Bärbel Reetz von acht ungewöhnlichen Frauen im Aufbruch, die sich für die großen utopischen Entwürfe ihrer Zeit – Sozialismus, Marxismus, Psychoanalyse und neue Wege in der Kunst – leidenschaftlich engagierten, von seltenem Gelingen und oft dramatischem Scheitern angesichts der Zeiten von Krieg und Revolution.

Was ist das für ein Geräusch? Sie schreckt hoch. Nichts. Nur das Wasser hinter den Gittern und das dumpfe Pochen ihres Herzens, das von den Wänden widerhallt. Sie legt die Hände auf die Ohren. Noch nicht das Knacken des Schlosses, das Knarren der Tür, die Fackeln, der Festungsgeneral, Soldaten, die sie abführen. Sie zieht die Beine an den Körper, umfasst sie mit den Armen, als könne sie sich schützen. Hat sie Angst? Nein, sie ist nur müde, todmüde.
Baron Stromberg lässt fragen, ob Sie ein Begnadigungsgesuch beim Zaren einreichen wollen? sagte der Inspektor und grinste frech.
Niemals und unter keinen Umständen.

Pressestimmen

Lenins leibliche Schwestern kommen in diesem Roman tatsächlich vor, aber nur weit am Rand und ohne Bedeutung für das tiefere Geschehen. Es ist eine eher symbolische Verwandtschaft, der Bärbel Reetz in diesem biographisch-episodischen Roman über russische Frauen nachspürt. (…) Emanzipation wäre denn das politisch-gesellschaftliche Stichwort, unter dem sich die Lebens-geschichten, die die Zeit von der Mitte des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts überstreichen, zusammenfassen ließen. (…)
Dass diese episodenartig nebeneinander gestellten biographischen Abrisse dennoch einen roman-haften Text ergeben, mag zunächst verblüffen. Aber geschickt vernetzt die Autorin ihre Heldinnen miteinander. Das können ganz lose Verbindungen sein wie eine gegenseitige Wahrnehmung aus der Ferne. Oder direkte Begegnungen, die zu einem Austausch der Erinnerungen, Haltungen und Wertungen führen. Derart miteinander verknüpft entsteht ein eigenartiges und reizvolles Panorama: starke Frauencharaktere, die den Ballast der Tradition abwerfen in Zeitläuften, die man stürmisch nennen kann.
Gregor Ziolkowski / DLR Deutschlandradio Kultur / 30.05.2008

„Lenins Schwestern“ skizziert russische, aber auch europäische Geistesgeschichte in Porträts und imponiert durch die Darstellung der diversen Verbindungen, die es im alten Europa diesbezüglich gab. (…) Was sich anhört wie eine Erfolgsgeschichte der Frauenemanzipation ist eher eine nachdenklich stimmende, an weiblichen Biographien orientierte Chronik der wunderbar humanistischen Ideale, die zu Revolutionen und Umstürzen führen und der enttäuschenden Umsetzung, Stalinismus und Faschismus inbegriffen.
Regina General / Neues Deutschland / 11.07.2008

„Lenins Schwestern“ erzählt die Geschichten russischer Frauen, die man später Feministinnen genannt hätte. (…) Die Sorgfalt, mit der Bärbel Reetz recherchiert hat, kommt Lesern zugute, die sich für das Ende des Zarenreichs interessieren. Feministinnen, die nach Gefährtinnen im Geiste suchen, werden in „Lenins Schwestern“ fündig.

Franziska Augstein / SZ Süddeutsche Zeitung / 10.09.2008

Weitere Monografien

Meret Oppenheim – Wandlungen

rüffer & rub
Oktober 2024
400 Seiten

Hesses Frauen (Neuauflage)

Insel Verlag
Berlin 2024
424 Seiten

Seiltänzer noch im Dunkeln

Verlag Wunderhorn
Mai 2022
104 Seiten, gebunden

Berlin, Marienstraße 23

rüffer & rub
Juni 2021
268 Seiten